Unausgeglichene Kämpfe vor leeren Hallen – wohin geht die Reise im Profiboxen?

Über 96.000 Zuschauer pilgerten am Samstag in das Wembley Stadium für Anthony Joshua vs. Daniel Dubois.
In Deutschland ist man über ein Fünfzigstel schon zufrieden.

Lauter Aufbaukämpfe, ausbleibende Zuschauer und die Sehnsucht nach vergangenen großen Tagen im deutschen Profiboxsport.

Wer sich am vergangenen Samstag in die Sporthalle Hamburg begeben hatte, musste feststellen, dass trotz eines hochklassigen und historischen Weltmeisterschaftskampfes im Mainevent die meisten Plätze leer blieben. Das Interesse schien nicht sonderlich groß zu sein. Die Gründe dafür sind sicherlich vielschichtig. Einer der gravierendsten Faktoren dürfte gewesen sein, dass zeitgleich Anthony Joshua gegen Daniel Dubois im Wembley Stadium kämpfte.

Ohne sich nun zu sehr auf die vergangene Boxveranstaltung zu konzentrieren, bleibt jedoch festzustellen, dass einige Probleme hausgemacht sind – und sie betreffen verschiedene Promotions. Hamburg kann exemplarisch für das Dilemma stehen, aber andere Veranstaltungen durchlaufen exakt denselben Verlauf, die Tennisinsel lässt grüßen. Daher stellt sich die allgemeine Frage, ob der eingeschlagene Weg den Boxsport hierzulande wirklich wieder erblühen lassen kann.

Unausgeglichene Kämpfe sind der Alltag im Boxring

Wer sich Profiboxveranstaltungen in Deutschland anschaut, dem wird schnell auffallen, dass eines der Hauptprobleme die unausgeglichenen Kämpfe sind. Dies zieht sich quer durch die Republik und ist im Boxgeschehen fest verankert. Man nehme eine halbwegs talentierte A-Seite, stelle sie gegen eine B-Seite mit vielen Niederlagen und schaue, was dabei herauskommt. Kleiner Spoiler: Die B-Seite wird höchstens eine weitere Niederlage „gewinnen“. Manchmal sind die Promotions so clever und verpflichten Boxer mit einem numerisch schönen und sauberen Rekord als B-Seite. Dann steht dort ein kräftiger Mann, der ungeschlagen ist und eine KO-Quote von 95 % hat – aber dennoch nicht viel kann, weil seine Gegner im Vorfeld durchweg schwach waren.

Natürlich gibt es zahlreiche junge Athleten, die am Anfang ihrer Karriere stehen und langsam herangeführt werden müssen. Aufbaukämpfe gehören zum Kampfsport dazu, dennoch sollten sie auf einer Veranstaltung einer ambitionierten Promotion nicht überwiegen. Warum geht man in die Halle und bezahlt Eintritt? Für spannende Paarungen, in denen beide Seiten gewinnen wollen, in denen sich ein intensiver und dynamischer Kampf entwickelt. Diese Dynamik sollte sich auf die Zuschauer übertragen – das ist die Faszination des Kampfsports. Solche Kämpfe erlebt man häufig höchstens im Hauptkampf, was zu wenig ist.

Interessen der Promoter sind nicht immer im Einklang mit denen der Zuschauer

Promoter wissen um das Problem, doch ihre Prioritäten liegen oft nicht bei zuschauerfreundlichen Kämpfen, sondern darin, ihre Kämpfer zu schützen. Das mag paradox erscheinen, da der Ticketverkauf in Deutschland eine primäre Einnahmequelle darstellt. Dennoch ist es oft die Norm, dass Promotions in erster Linie daran interessiert sind, ihre eigenen Kämpfer bestmöglich zu platzieren. Das Ziel ist, diese in Weltmeisterschaftskämpfe zu bringen oder im Weltverband relevant erscheinen zu lassen.

Manche Boxer haben einen Rekord von 20-0, ohne jemals einen halbwegs adäquaten internationalen Gegner geboxt zu haben. Der Drang, dass jeder durchschnittliche Boxer um Weltmeisterschaften kämpfen soll, ist ein großes Problem. Das führt zu Mismatches oder zu auf dem Papier spannenden Paarungen, die aber so vorteilhaft gematcht sind, dass sie einseitig erscheinen. Der Fokus liegt darauf, dass die eigenen Schützlinge gut aussehen – alles andere ist zweitrangig.

Der ewige Drang zur Weltmeisterschaft ist kontraproduktiv

Wenn ein Kämpfer einmal in die Top 15 eines Weltverbandes gehievt wurde, steckt dahinter bereits ein enormes Investment. Eine Niederlage würde dieses Investment gefährden. Daher neigen Promoter dazu, kurz vor dem Ziel keine Risiken mehr einzugehen, was oft zu schwächeren Kämpfen führt. Der Drang nach Weltmeisterschaftskämpfen in Deutschland ist ein massives Problem. Häufig sind auch die Zuschauer in ihrer Erwartungshaltung schuld, da sie fast ausschließlich Schwergewichtspaarungen und Titelkämpfe sehen wollen. Dieser Anspruch stammt aus den „goldenen Zeiten“ des Boxens im öffentlichen Rundfunk und ist bis heute präsent. Damals versuchten die großen deutschen Promoter, mit Weltmeisterschaftskämpfen eine Relevanz zu signalisieren, unabhängig von der Qualität der Kämpfe.

Lineares Fernsehen wird keine langfristige Lösung bieten

Leider ist diese Abhängigkeit heute noch spürbar, doch selbst Weltmeisterschaftskämpfe garantieren keine volle Halle, wie man am Samstag sah. Reflexartig neigen viele dazu, die fehlende Sichtbarkeit des deutschen Boxsports mit dem Mangel an Übertragungen im öffentlichen Fernsehen gleichzusetzen. Natürlich würde eine Ausstrahlung im Fernsehen mehr Zuschauer erreichen als teure Streaming-Abos, aber auch das lineare Fernsehen befindet sich in einer Krise.

Streaming ist die Zukunft. Jüngere Menschen erreicht man nicht mit Kampfabenden im öffentlichen Rundfunk. Hier gilt es, mit attraktiven Angeboten die Weichen für die Zukunft zu stellen. Es könnte eine Chance sein, den Boxsport wieder jünger und dynamischer erscheinen zu lassen, anstatt von den 2000er-Jahren zu träumen, als Weltmeisterschaftskämpfe ein Millionenpublikum erreichten. Ein Blick auf den MMA-Sport zeigt, dass große Erfolge im Streaming möglich sind. Oktagon wird am 12. Oktober im Deutsche Bank Park in Frankfurt ein Event veranstalten, bei dem über 50.000 Zuschauer erwartet werden – und das wurde nicht durch Fernsehübertragungen, sondern durch Streaming erreicht! Daher ist die Sehnsucht nach mehr Boxen im TV zwar verständlich, würde das Problem aber nur verschieben, nicht lösen.

Regionale Kämpfe als Erfolgsmodell?

Man möchte nicht in der Haut der Promoter stecken, die in diesen schwierigen Zeiten etwas auf die Beine stellen müssen. TV-Einnahmen sind praktisch nicht existent, und die Pay-per-View-Kultur ist in Deutschland ebenfalls kaum ausgeprägt. Der Ticketverkauf gestaltet sich auch schwierig, sodass dauerhafte Verluste in den Bilanzen oft unvermeidlich erscheinen.

Ein Hoffnungsschimmer wäre zunächst ein besseres Matchmaking. Man stelle sich vor, es würden Promoter auftreten, die keine eigenen Kämpfer unter Vertrag haben. Zum Beispiel könnte man in NRW veranstalten, sich einige aufstrebende und hungrige Boxer suchen und sie gegeneinander antreten lassen – kein georgischer Bus, der mit Journeymännern anreist, sondern ambitionierte Boxer, die sich auf Augenhöhe messen wollen. Das muss kein internationales Topniveau haben, es muss nur spannend und sinnvoll sein. Das allein garantiert keine volle Halle, aber es wäre ein wichtiger Anfang, um den Zuschauern das Gefühl zu geben: „Das waren gute Kämpfe, wann ist die nächste Veranstaltung?“

Vieles davon mag Wunschdenken sein, aber der Weg mit den unausgeglichenen Kämpfen ist keiner, der eine Verbesserung bringt. Es widerspricht auch dem sportlichen Gedanken, wenn die Sieger praktisch schon feststehen. So steht wiederum fest, dass sich im deutschen Profiboxsport vieles nicht ändern kann, solange diese Praxis weitergeführt wird.

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