Ramadan Hiseni: Das Interview mit dem Schweizer Vorzeigeboxer

Ramadan Hiseni beim Wiegen in Kanada.
©Vincent Ethier 2024

Ein Schweizer überrascht die Boxwelt. Im Boxen1-Interview verrät er, wie seine Sichtweise auf das Abenteuer in Kanada war.

Was bedarf es, um im Boxen voranzukommen? Zum einen die Grundtugenden wie Ehrgeiz und Disziplin. Eine gute Portion Mut gepaart mit etwas Talent sollte auch enthalten sein. Doch das Boxen, insbesondere das Haifischbecken Profiboxen, kennt seine eigenen Gesetze. Viele talentierte Athleten bekommen trotz hoher Leistungsfähigkeit nicht die Gelegenheiten, die sie verdient haben. Die Boxpolitik bestimmt, wer oben ist und wer unten bleibt. Umso wichtiger erscheint es deshalb, dass man unerwartete Gelegenheiten konsequent nutzt. Beim Schweizer Profiboxer Ramadan Hiseni (18-1-2) tat sich in dieser Woche solch eine Gelegenheit in Montreal, Kanada, auf. Und er sollte sie bravourös nutzen!

Über Raufereien mit dem Bruder zum WBC Juniorenweltmeister

Der ehemalige WBC Juniorenweltmeister, Ramadan Hiseni.

Ramadan Hiseni blickt schon auf eine gute Profikarriere zurück. 2019 wurde er WBC-Juniorenweltmeister und sehr vielversprechend im Weltverband gerankt. Zwei schwächere Kämpfe gegen starke Franzosen haben seine Ambitionen jedoch etwas zurückgeworfen. Am Donnerstag bekam er dann die Gelegenheit, einen sehr renommierten russischen Amateurboxer in Kanada herauszufordern. Es war der erste richtige Auswärtseinsatz für Hiseni, der sich im Kampf mehr als nur beachtlich geschlagen hat.

Eine nennenswerte Amateurlaufbahn hatte er hingegen nicht. Seine Anfänge im Boxen beschreibt Hiseni wie folgt: „Ich habe offiziell mit 16 Jahren mit dem Boxen begonnen. Schon als Kind war ich vom Kampfsport begeistert. Mein älterer Bruder und ich haben in unserem Zimmer Kämpfe ausgetragen – nicht mit richtigen Boxhandschuhen, weil wir keine hatten, sondern mit Schneehandschuhen.

Ich war damals 8 Jahre alt, mein Bruder 10 Jahre. Wir haben diese Kämpfe aufgenommen und sie nach etwa 5-6 Jahren mit meinem Onkel angeschaut. Er meinte, ich hätte Potenzial im Boxen. Das hat mein Interesse am Boxen geweckt und ich begann, mich intensiver damit zu beschäftigen. Dabei stieß ich auf große Namen wie Muhammad Ali und wusste sofort, dass ich das auch machen wollte. Also machte ich mich auf die Suche nach einem Boxgym. Als ich schließlich mit 16 Jahren eines fand, besuchte ich mein erstes Training und trainierte von da an fast jeden Tag.“

Das war rückblickend eine sehr gute Entscheidung, denn Hiseni gehört mittlerweile zu den absoluten Schwergewichten in der Schweizer Boxszene. Umso erfreulicher ist also die Tatsache, dass er sich direkt nach dem Rückflug bereit erklärt hat, Boxen1 seine Sichtweise auf den großen Kampf in Kanada zu schildern. Wie sah er seine Performance, worauf die gesamte Schweiz so stolz sein kann?

 Das Interview mit Ramadan Hiseni

Hallo, Ramadan. Am Donnerstag hast du noch in Kanada gekämpft, heute bist Du wieder in der Schweiz. Wie fühlst du dich?

Ramadan Hiseni: Ich fühle mich eigentlich gut. Einige Verspannungen sind hier, in den Armen und Schultern, aber ich denke, 2-3 Tage pausieren und dann kann ich wieder mit dem Training beginnen, denn ich habe keine größeren Verletzungen vom Kampf davongetragen.

Erzähle bitte was zur Kampfmöglichkeit in Kanada. Wie ist die zustande gekommen und wann hast du vom Kampf erfahren?

Ich habe es 4 Wochen vorher gewusst, dass ich in Kanada kämpfen werde. Das war Anfang Mai und eigentlich war es so, dass der Matchmaker uns direkt angeschrieben hat – meinen Manager kontaktiert hat. Dann haben wir wirklich schnell die Fragen bezüglich des Kampfes alle ausgefüllt. Was man eben so ausfüllen muss, das sind schon gewisse Formulare für Kanada. Das war wirklich sehr viel Papierkram.

Und dann ging es relativ schnell, weil wir wussten, dass wir den Kampf wollen. Wir haben das als gute Möglichkeit für die internationale Bühne gesehen. Wir wussten auch schon, dass Eye of the Tiger eine große Promotion ist. Deshalb haben wir das relativ schnell gemacht und das Feedback vom Matchmaker war, dass er noch nie so schnell und unkompliziert einen Vertrag abgeschlossen hat. [lacht]

Da habt ihr wahrscheinlich aber keine größeren Forderungen gehabt?

Er hat das wirklich so gesagt. [lacht erneut]. Sie wollten, dass wir 3 Tage vor dem Kampf in Kanada sind. Es war das Einzige, was wir geändert haben, weil wir daraus 5 Tage gemacht haben. Damit wir uns dort schön akklimatisieren konnten. Wir hatten ja den Flug, Jetlag, damit alles reibungslos funktioniert. Das war das Einzige, was wir bezüglich des Vertrages geändert haben, alles andere haben wir so akzeptiert, wie es gekommen ist.

Deine Vorbereitung lief also ungefähr 4 Wochen. Hast du dich speziell darauf vorbereitet?

Natürlich habe ich mir den Gegner angeschaut, welche Größe hat er? Und mich dementsprechend schlau gemacht, mit wem ich Sparring machen könnte, der seine Größe hat. Danach habe ich mir 2-3 Boxer aus der Schweiz ausgesucht und mit ihnen öfter Sparring gemacht.

„Das hat mich nicht groß eingeschüchtert“

Dein russischer Kontrahent Shamil Khataev soll 290 seiner 300 Amateurkämpfe gewonnen haben. Wie hast du ihn im Vorfeld eingeschätzt?

Ich wusste im Vorfeld, dass er bereits Erfahrung hat. Wenn man an Russland denkt, weiß man direkt, dass er Erfahrung hat. Aber das hat mich nicht groß eingeschüchtert. Ich wusste, dass es im Profibereich anders läuft als bei den Amateuren. Man kann ein guter Amateurboxer sein, aber bei den Profis ist es einfach anders. Dort hat man natürlich mehr Runden zu boxen.

Wie hast du Khataev im Kampf wahrgenommen? War es ungefähr der Gegner, den du dir vorgestellt hast, oder hättest du mehr erwartet?

Ich habe gewusst, dass er von Anfang an sehr aktiv sein wird, weil es für ihn natürlich auch ein Kampf auf internationaler Bühne war.

Es war ja auch sein Debüt in Kanada.

Genau, sein Debüt beim Promoter. Ich wusste, dass er im Vorfeld Druck hat. Er musste sich auch zeigen. Ich musste einfach von Beginn an konzentriert bleiben, meine Stärken ausspielen, die Größe. Ihn schön in der Distanz halten. Dann wusste ich, dass sich das im Kampf ergeben würde. Die Dinge, die ich vorhatte, auch umzusetzen.

„In Runde 5 habe ich ihn auch sehr gut erwischt mit der Rechten. Da war er wirklich weg.“

Ramadan Hiseni vs. Shamil Khataev
©Vincent Ethier 2024

Und zu deiner eigenen Leistung: Wie zufrieden bist du mit dir selbst?

Für mich war es der erste internationale Kampf. Mit der Leistung war ich zufrieden. Ich denke auch, dass ich den Kampf gewonnen habe. Nach den Punkten lag ich doch vorne, oder? Und so habe ich dementsprechend auch geboxt. In Runde 5 habe ich ihn auch sehr gut erwischt mit der Rechten. Da war er wirklich weg. Danach wollte ich eigentlich den Sack sofort zumachen, aber der Ringrichter war schneller und hat mich am Arm gepackt und den Kampf irgendwie unterbrochen. Und dann hat er ihn verwarnt, weil er seinen Kopf so tief gehalten hat. Dadurch konnte er sich wieder erholen.

Am Ende werteten die Punktrichter es unentschieden in Kanada, was man durchaus als gefühlten Sieg verbuchen kann. Wie sehr stört es dich, den Kampf nicht offiziell gewonnen zu haben?

Ja, das ist natürlich schon bitter, weil man ja weiß, dass man gewonnen hat. Ich meine, wenn 90 % des Publikums das so sehen und alle mir applaudieren, mich bejubeln, dann denke ich mir, was sehen die Punktrichter? Ich weiß auch nicht, wie ich diese Frage beantworten soll. Ob vielleicht der Promoter einen Einfluss darauf hatte und ihn etwas schützen wollte.

Es ist für Auswärtsboxer allgemein auch sehr schwer auf den Scorecards.

Ja, Heimvorteil wahrscheinlich. Ich sage aber auch, vielleicht hätte ich noch mehr machen sollen. Im Nachhinein will man es aber immer verbessern. [lacht]

Du hast, mit einer Ausnahme in Deutschland, ausschließlich in der Schweiz gekämpft. Was waren die großen Unterschiede gegenüber einem Event in der Schweiz, und wie hast du Kanada wahrgenommen?

Der Veranstaltungsort an sich war nicht groß von der Fläche, aber die Organisation mit Fernsehen, mit Kameras, mit dem Ring – und den Punktrichtern, dem Supervisor. Das war ein ganzes Team dort, vielleicht bis zu 30 Leute. Auch, dass sie an der Tür in der Garderobe beim Aufwärmen standen. Immer hat jemand beobachtet, was man macht, was man trinkt. Ich habe Mineralien zu mir genommen und dann sind sie gerade gekommen und haben direkt gefragt, was das sein soll, und es kontrolliert. Ob es vielleicht verbotene Substanzen sind. Das war schon strikter, kontrollierter und professioneller.

Zuletzt verlief es in der Schweiz ja auch leistungstechnisch nicht mehr so gut. Kam es dir entgegen, vielleicht mal der Underdog zu sein? Und wie wichtig erscheint es dir dabei, vielleicht die Komfortzone Schweiz zu verlassen und sich anderswo zu beweisen?

Das Ziel ist es, der Beste in meiner Gewichtsklasse zu werden. Dafür muss man einfach die Komfortzone verlassen. Das war jetzt in Kanada, auf einem anderen Kontinent. Für mich war das aber vollkommen okay. Beim Fliegen sagte ich schon zum Trainer und Cutman: Hey, ich fühle mich wie im Urlaub. Das war wirklich sehr stimmig. Ich war nicht nervös, es war auch richtig gutes Wetter. Es war wirklich, als ob ich im Urlaub wäre. [lacht]

Nach der starken Leistung hast du dir sicherlich Respekt verschafft und teilweise auch einen Namen gemacht. Wie sehr würde es dich reizen, weiterhin häufiger im Ausland zu kämpfen?

Auf jeden Fall. Das Boxen ist deutlich populärer im Ausland als in der Schweiz. In der Schweiz ist alles sehr klein. Deswegen gehe ich dorthin, wo die Besten sind. Denn gegen die Besten will ich kämpfen und mich dort auch beweisen. Deswegen kann das auch ruhig öfter vorkommen, und ich bin bereit für die internationale Bühne.

Zunächst ist jedoch ein Kampf am 6. Juli in der Schweiz geplant?

Genau, im Stadthofsaal Uster. Einen Gegner haben wir noch nicht. Es wird aber ein Kampf sein, der mich in der Weltrangliste nach vorne bringt. Denn es gibt nur einen Weg, nach vorne zu gehen.

„Ich bin fest davon überzeugt, dass ich der erste Weltmeister aus der Schweiz werde“

Überraschungsempfang von der Familie für Ramadan Hiseni.

Wenn du an die kurz- oder langfristigen Ziele denkst, was wünschst du dir und was ist realistisch?

Natürlich will jeder Weltmeister werden, aber jeder hat auch eine andere Wahrnehmung. [lacht] Aber ich glaube, dass meine stimmt, und ich bin fest davon überzeugt, dass ich der erste Weltmeister aus der Schweiz werde.

Ein Sportler lebt für seinen Sport, für seine Leidenschaft und stellt dem vieles unter. Was ist dir abseits des Boxsports jedoch wichtig und wofür würdest du gerne mehr Zeit aufwenden können?

Wie alles im Leben braucht es Zeit. Aber ich nehme das auch gerne in Anspruch, weil Boxen das ist, was ich sehr gerne mache und wirklich liebe. Eigentlich komme ich deshalb trotzdem nirgendswo zu kurz. Ich mache das, was ich liebe. Und lieben tue ich das Boxen. [lacht]

Ich habe die Unterstützung meiner Familie, sie stehen immer hinter mir. Das ist wirklich großartig, weil die Familie mir auch sehr wichtig ist.

Deine Familie hat dich ja direkt nach dem Flug um 6 Uhr morgens empfangen. Wie sehr hat dich das gefreut?

Wirklich sehr. Meine Frau hat mich abgeholt und auch nichts gesagt. Ich war wirklich überrascht, weil ich mir gedacht habe, endlich zuhause zu sein und die Beine hochzulegen. Und dann kam ich rein und sah so viele Köpfe. [lacht]

Wir haben danach zusammen den Kampf angeschaut, den ich vorher nicht mehr gesehen hatte. Und dann musste ich feststellen, dass ich 3 Runden vorne lag. Es hat mir dann wieder gezeigt, dass es doch nicht so knapp war, wie es die Leute empfinden. Es ist natürlich auch nur eine Ansichtssache von mir.

Abschließende Frage, Ramadan: Was möchtest du den Lesern von Boxen1 sagen?

Ich finde es zunächst mega cool, dass es so etwas überhaupt gibt. Dass man auf Boxen1 Informationen aus der Sicht des Sportlers erhalten kann. Ein großes Dankeschön an Boxen1.

Ich gebe mein Bestes, damit ich der erste Weltmeister aus der Schweiz werde.

6. Juli im Stadthofsaal Uster

Wer die Gelegenheit nutzen möchte, sich beim nächsten Kampf einen eigenen Überblick über Ramadan Hisenis außergewöhnliche Boxfähigkeiten zu verschaffen, kann dies am 6. Juli im Stadthofsaal Uster tun. Dort wird Hiseni kämpfen. Genaue Details zum Event werden in den kommenden Wochen kommuniziert und sind auch auf Boxen1 nachzulesen.

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