WIBF-Weltmeisterin Dilar Kisikyol beendet ihre Box-Karriere – oder: Last Fight, „Feuerherz“!

Dilar Kisikyol, Porsche-Zentrum Hamburg, 25.10.2022, Copyright: MSSP – MICHAEL SCHWARTZ SPORTPHOTO

Die Leichtgewichtlerin bestreitet im September in Hamburg ihren finalen Profi-Kampf. Danach macht die gebürtige Leverkusenerin weiter, aber in anderer Rolle außerhalb des Rings.

Leicht fällt ihr es nicht, es sei sogar „richtig hart“, sagt sie. Dennoch, sie wirkt gefasst, selbstsicher: „Ich muss mir nichts mehr beweisen, anderen schon gar nicht“, betont Dilar Kisikyol im Gespräch mit Boxen1com. Die 32-jährige Wahlhamburgerin ist Weltmeisterin, Titelträgerin der Women‘s Internationale Boxing Federation (WIBF) im Leichtgewicht (bis 61,2 Kg). Und sie wird im September in der Hansestadt ihren letzten Profi-Fight absolvieren, ihren WM-Titel das zweite Mal verteidigen. Danach beginnt ein neues Kapitel für die Athletin. Neben dem Ring.

Bloß, was ist der Grund, die Boxhandschuhe im Spind zu lassen? „Ich habe gefühlt, es ist Zeit, den nächsten Schritt zu machen.“ Und es sei nicht nur ein Eindruck, nicht nur eine Empfindung, schiebt die gebürtige Leverkusenerin mit kurdischen Wurzeln nach. Weil: „Ich bin reflektiert genug, Entscheidungen zu treffen.“

Boxen: P2M Box-Promotion, Rostock, 24.06.2023
Dilar Kisikyol (GER) – Farina Römling (GER)
© Torsten Helmke

Außerdem, wenn sich eine Türe schließe, öffne sich andernorts eine neue. Künftig stünden ihre weiteren Aufgaben oben auf der Agenda. Die studierte Sozialpädagogin hat das Projekt „Du kämpfst“ ins Leben gerufen, hat eine Box-Gruppe von Frauen aufgebaut, die an Parkinson erkrankt sind, ist beim Hamburger Boxverband engagiert, dort Beauftragte für Frauen und Inklusion. Viele Jobs gleichzeitig, nicht einfach diese Mehrfachbelastung als Dauerbelastung. „Und bevor meine sportliche Leistung darunter leidet, höre ich mit der aktiven Laufbahn lieber auf.“ Sie habe schließlich alles erreicht, was sie sich im Profi-Boxen vorgenommen hatte.

Hinzu kommt: Boxsport ist männerdominiert, immer noch. Sponsoring, Kampfbörsen, Medienresonanz – alles ist schwieriger, kleiner, geringer als bei Männern. Ein Problem, zumal dem Boxsport hierzulande insgesamt Plattformen fehlen. Für mehr Präsenz, für mehr Potential. „Ich will mir etwas parallel aufbauen, eine sichere, feste Zukunft, auch ökonomisch.“ Optionen hat Kisikyol längst. Angebote, etwa als Referentin, als Speakerin aufzutreten, bei Vereinen, Verbänden oder Unternehmen. Ferner wird sie ihre eigenen Projekte im Fokus haben, forcieren.

Dilar Kisikyol präsentiert ihren WIBF-WM Gürtel / Foto: Harald Becker

Rückblende: Dilar, das „Feuerherz“, ist Drillingskind. Sie wog bei der Geburt nur anderthalb Kilo. Sich Durchboxen müssen, das kennt sie, seit ihrem ersten Atemzug. Musizieren sollte sie als Teen nach dem Wunsch ihrer Eltern, übrigens wie ihre Geschwister. Doch die Tastatur des Klaviers lag ihr nicht, die Klaviatur des Boxens schon. Spielend.

Bis zum ersten Gong vergingen aber noch Jahre. Erst mit 16 hat Kisikyol erstmals Boxhandschuhe übergestreift. Damals noch in Leverkusen. Kurz vorher war sie aber geschockt: „Nur Jungs in der Box-Halle, ich bin mit meiner Freundin sofort wieder umgekehrt“, erzählt sie. Beim zweiten Mal hat sie sich getraut, die Schwelle zum Ring übertreten, mitgemacht – und so wie immer: gefightet, sich durchgeboxt. Bis an die Spitze.

Der Sprung vom Rhein an die Elbe, vom olympischen Faustkampf zum professionellen war 2019 – und folgerichtig. Erst bei Universum Box-Promotion Global, dann bei der Box-Promotion P2M. Kisikyols Kampfrekord ist makellos: zehn Fights, zehn Triumphe, zweimal durch Knockout. Der größte Erfolg im November 2022. Sie wird WIBF-Championesse, holt den Gürtel gegen Eva Hubmayer aus Euskirchen im Porsche-Zentrum Hamburg. Einstimmig nach Punkten (100:90, 100:90, 100:90). Die Neuweltmeisterin dominiert mit ihrer linken Führhand, agiert aus einer sicheren Doppeldeckung das Geschehen im Seilgeviert.

Boxen: P2M Box-Promotion, Stralsund boxt !, Stralsund, 16.03.2024
WIBF-Weltmeisterschaft: Dilar Kiskyol (GER) – Marisa Gabriela Nunez (ARG)
© Torsten Helmke

Die erste Titelverteidigung dauerte etwas, krankheitsbedingt musste Kisikyol länger pausieren, im Herbst vergangenen Jahres absagen. Ende März war es aber soweit. In Stralsund traf sie auf die erfahrene Marisa Gabriela Nunez aus Argentinien. Spürbar, Kisikyol mit leichten Anlaufschwierigkeiten im Gefecht, die 40-järhige Nunez machte Druck von der Ringmitte aus, ohne Zählbares auf den Punktezetteln zu hinterlassen. Unter dem Strich, gleichfalls eine klare Kiste für Kisikyol; klug und klassisch hat sie ihre argentinische Kontrahentin ausgeboxt – Ergebnis: 97:93, 97:94, 98:92.

Und nun der finale Auftritt als Abtritt: Am 19 September in der Alsterdorfer Sporthalle in Winterhude. Wen Kisikyol vor ihren flinken Fäusten haben wird, klärt sich in den kommenden Tagen. Davon unabhängig, 14 Wochen Vorbereitung, zweimal täglich Training werden dann hinter ihr liegen. Fraglos, es wird ein emotionaler Abschied. Kisikyol: „Aber ich freu´ mich drauf, bin voller Spannung.“ Vor ihrem Heimpublikum abzutreten, als ungeschlagene Weltmeisterin, versteht sich. Und in neuer Rolle weiterzumachen, neben dem Ring auf anderer Bühne.

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